In meiner Kindheit gab es Plastiktischtücher. Nicht in meinem Elternhaus, was ich ihm heute noch hoch anrechne. Meine Großeltern aber waren eiserne Vertreter der Tischschonung. Die für die Belastungen von Jahrhunderten ausgelegte Holztischplatte (Wickinger hätten darauf ihre Gelage feiern können!) wurde zunächst von einem weichen Vlies geschützt, das dauerhaft mit Gummizug aufgespannt war. Und darübergelegt, quasi zur Schonung des Schoners – le Plastiktischtuch! Die Musterung war irgendwas mit Grüntönen, damit sie sich zeitlos jeglichem Interieur anpassen konnte. Ein Chamäleon der hygienischen Esskultur.
Zu meinen verlässlichen Assoziationen dieser möbelschonenden Maßnahme gehört das klebrige Gefühl auf Armen und Händen, sobald Arme und Hände mit dem Plastiktischtuch in Berührung kamen. Die echten Tischtücher aus besticktem Leinen lagen fein gestärkt und gebügelt Kante auf Kante im Kastl des Speisezimmers und warteten auf hohe Anlässe. Die hohen Anlässe habe ich allerdings selten erlebt, auch später nicht, als ich schon erwachsen war. Es war einfach so: Edle Tischwäsche in der Verwahrung war Verpflichtung wie Geld, das man sicher auf der Bank wusste.
Die lauen Sommernachmittage im Garten meiner Großeltern, der rundum ihr Haus auf einem Salzburger Berg angelegt ist, habe ich geliebt. Und das Plastiktischtuch am Gartentischtuch aufgelegt, konnte bedeuten: Polentasterz mit Zucker zum Frühstück (mein Opa kam aus der Steiermark), Kalbsbrust mit Butterreis und Erbsen zum Mittagessen am Sonntag, Marillenfleck und Milchkaffee am Nachmittag oder eine Speckjause am Abend, zu der mein Opa in ritueller Bewegung langsam und konzentriert Scheiben von einem riesigen Brotlaib abschnitt, den er sich an die Brust setzte und mit einem Zug das Messer glatt durch das Brot zog. Niemand konnte so Brotschneiden wie mein Großvater. Jeder andere hätte sich dabei entweder erdolcht oder die Finger abgeschnitten.
Auf dem Plastiktischtuch lagen dann die Brote, die mit Butter beschmiert und mit viel frischem Schnittlauch bestreut wurden. Den Schnittlauch durfte ich mit einem Küchenmesser aus dem Kräuterbeet ernten, unter mahnenden Sicherheitsanweisungen meiner Großmutter.
Einmal kritzelte ich heimlich mit Kugelschreiber meinen Namen auf das Plastiktischtuch. Nein, ich wurde nicht erwischt. Die Musterung hat mich einfach verschluckt.
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